Der Stoff: Camillas Hose
Meine Freundin Camilla und ich kennen uns, seit wir 18 Jahre alt sind. Sie wohnt in Italien. Wir sehen uns selten. Auch unser Kontakt ist nicht sehr intensiv. Dabei steht aber nie auch nur ansatzweise in Frage, dass wir jederzeit bei der anderen anklopfen können, für grosse Fragen im Leben, aber eben auch für so Probleme wie jenes vom Sommer 2022. Da erhielt ich diese Nachricht per SMS:
«Ciao. Ich habe hier eine Hose. Ich habe sie viel getragen und habe sie sehr gern. Sie ist mir zu eng. Sie ist auch etwas kaputt. Ich kann sie aber unmöglich wegwerfen. Kannst du etwas daraus machen, bitte?»
Kurs darauf hatte ich ein Päckchen aus Florenz in der Post.
Ja: Das Leben hatte Spuren hinterlassen an dieser Hose.
Und auch an uns: Weder Camilla noch ich hätten noch in diese Hose gepasst. Also gab es nur eines:
Zerlegung der Geschichte in ihre Einzelteile:
Reparieren von Löchern und Rissen:
… suchen nach passendem Zusatzstoff, welchen ich in den Resten des Futter- und Ärmelstoffes einer Jacke fand, die ich mir vor einiger Zeit genäht hatte…
… und neues Zusammensetzen der einzelnen Teile.
Einige Monate später haben wir uns, Camilla und ich, nach Jahren ohne physisches Treffen, in Genua verabredet, um zusammen unsere vergangenen Geburtstage zu feiern.
Sie betrat den Raum, in dem ich auf sie wartete, schaute mich an, und begrüsste mich auf ihre übliche, unemotionale und ehrliche Art mit: «Schöne Hose.»
Dann gingen wir los für einen Spaziergang am Meer. Wobei ich es sehr genoss, zu wissen, dass nicht mehr nur Camilla und ich auf immer zusammengehören, sondern nun auch meine Jacke und meine neue Hose…
Die Geschichte: L'ultima volta che vidi Parigi